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Kleine Schweine

News & Stories — 19. November 2015
von Matthias Kanter
Vor Jahren bot ein findiger Ebay-Verkäufer zwei kleine Holzschweine an. Unter "Max und Moritz - Wagenfeld?" geriet er damit nicht nur in meine Suche sondern auch in einen Running Gag unter Freunden. So wenig die kleinen Schweine mit den Designklassikern gleichen Namens zu tun hatten, so sehr verblüfft doch ihre Beliebtheit und Verbreitung, die die WMF Salz- und Pfefferstreuer sogar zu übertreffen scheint.
Ich erinnerte ähnliche Streuer aus Urlaubsquartieren meiner Kindheit im Harz und Thüringen und war mir sicher, ostdeutsche Drechsler hatten mit dieser Menagerie ihr Soll in der Konsumgüterproduktion erfüllt. Als die geschärfte Aufmerksamkeit meines Sohnes aber auf Flohmärkten von Hamburg bis Basel regelmäßig ähnliche Schweine fand, begann mir zu dämmern, dass wir es hier mindestens mit einem gesamtdeutschen Tischdekorationsklassiker der60iger- 70iger Jahre zu tun haben.

Nun ist das feuchtigkeitsregulierende Holz nicht das schlechteste Material für einen Salzstreuer und ein kleines Schwein auf dem Tisch nicht nur für kleine Gäste akzeptabel. Dass die Sau Salz und Pfeffer aus zwei bis fünf Nasenlöchern auf unser Essen niest, das man ihr vorher von hinten eingefüllt hat, scheint biologisch unkorrekt aber ästhetisch angenehmer.

Meine Vorliebe für gute Gestaltung hat einen Freund und meinen Jüngsten zu verschworenen Sammlern kleiner Würzschweine gemacht, so dass bei einem Besuch im Kinderzimmer sich mir immer mehr Rüssel entgegenstrecken. Größen variieren, Holzarten wechseln und auch sonst unterscheiden sich die Holzschweine beträchtlich. Einzig die Grundfunktion scheint auf Salz und Pfefferstreuer festgelegt. Ein Ausnahmeschwein streut mal aus dem Rücken, manche haben Lederohren und selten stehen sie auf einem Holzteller mit hölzerner Futterkrippe. Farbige Schweine scheint es nicht zu geben.

Nicht einmal in ihrer Entstehungszeit designpreisverdächtig, hätte längst die Zeit ein dunkles Tuch ausgebreitet, wären da nicht die Menschen.
Nirgendwo werden sie lange vergeblich zum Verkauf angeboten und es gibt sogar heute noch Hersteller mit diesen Schweinen im Programm.
Auch wenn wir viele Entwürfe mit nützlichen Tieren aus dieser Zeit kennen - scheinbar haben nur die kleinen Schweine überlebt. Die hölzernen Vögel, die raffiniert Zigaretten reichen sind  ebenso verschwunden wie die hölzernen Flaschenöffnerfische.

Nun bleibt es faszinierend, wenn Kunsthandwerk und Mitbringselkultur Klassiker hervorbringen, die ein halbes Jahrhundert überleben und wie die Kuckucksuhr unbeirrt in die Zukunft streben.
Wenn ein guter Gestalter so einen Klassiker mal vorurteilsfrei überarbeitet, könnte vielleicht eine neue Designikone geboren werden. Aber ist das überhaupt nötig? Ist nicht gerade der gedrechselte Humor und der schräge Entwurf ihr Erfolgsgeheimnis?

Die verschworene Gemeinschaft aus unbeirrbaren Herstellern, Bauchkäufern und Spaßsammlern hält eine Idee am Leben, die Designkenner schon mit der ersten Ideenskizze in den Mülleimer befördert hätten. Genau diese Fachleute wurden schon von mir beobachtet, diese Schweine als originelles Geschenk benutzt zu haben.
Ignorieren kann ich sie auch nicht mehr und manchmal helfe ich meinem Sohn schon beim Sammeln.

Man könnte Ihnen ehrenhalber die Namen "Max und Moritz" verleihen. Wilhelm Wagenfeld würde sicher nachsichtig lächeln.

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